Auf dem Platz nur Deutsch

Wie gelingt die Integration von Flüchtlingen in die deutsche Gesellschaft?

Bei Roter Stern Halle spielen viele Migranten Fußball. Ein Besuch bei dem Klub zeigt, wie das Zusammenleben funktioniert und welche Herausforderungen es am Anfang gab.

Von Tobias Schlegel

Alidad Rahime ist kurz verunsichert. Er kennt den Fußballplatz in der Nordstraße in Halle-Lettin noch nicht und weiß nicht, wo er am Freitag zum Training hin soll. Sofort bietet seine Trainerin ihm Hilfe an: „Kein Problem, ich hole dich mit dem Auto ab und nehme dich mit“, sagt Sandra Köhler. Sofort hat der 18-jährige Afghane sein Lächeln wiedergefunden. Es ist sein erster Tag bei den Fußballern von Roter Stern Halle und sofort erfährt der Fußballer Hilfsbereitschaft. Auch von seinen neuen Teamkollegen wird der Flüchtling gleich in die Mannschaft aufgenommen und akzeptiert. Man kickt zusammen, es wird gelacht. „Die Leute hier sind richtig toll“, sagt Alidad in gutem Deutsch an einem Dienstagabend auf dem Fußballplatz in Halle-Kröllwitz hinter der Brandbergehalle, der zweiten Spielstätte des Vereins.

Der 18-Jährige stammt gebürtig aus Afghanistan.  Seine Eltern verließen ihn, als er zwei Jahre alt war. Alidad wuchs bei seinem Onkel auf, der ihn aber statt in die Schule auf Arbeit schickte. „Es war sehr hart für mich. Deshalb wollte ich nach Deutschland“, so der 18-Jährige. Seit drei Jahren lebt Alidad hier zunächst in Querfurt im Saalekreis, jetzt in Halle. In Deutschland hat Alidad nun zum ersten Mal in seinem Leben eine Perspektive. Er hat einen Hauptschulabschluss gemacht und absolviert gerade eine Ausbildung zum Altenpfleger. Und: Der 18-Jährige kann seinem Hobby nachgehen  – dem Fußball. Als er noch in Querfurt wohnte, spielte er dort bei einem Verein. Das wollte er auch in Halle und wurde dabei auf den Verein geworden. „Ich habe dem Verein eine E-Mail geschrieben. Nach nicht mal einer Stunde kam die Antwort, dass ich vorbeikommen kann“, erzählt Alidad freudestrahlend.

“Ich habe dem Verein eine E-Mail geschrieben. Nach nicht mal einer Stunde kam die Antwort, dass ich vorbeikommen kann.”

                               Alidad Rahime

Keine 24 Stunden nach dem Erhalt der E-Mail steht Alidad schon auf dem Fußballplatz in Halle-Kröllwitz. Hier trainiert gerade die dritte Mannschaft des Vereins. Wer möchte, kann sich dem Team jederzeit anschließen – egal woher er kommt. „Jeder kriegt bei uns seine Chance“, sagt Trainerin Sandra Köhler. Das ist die Philosophie des Vereins, der sich 2002  gegründet hat. Von den 250 Mitgliedern ist ein Fünftel erst mit der Flüchtlingswelle 2015 nach Deutschland gekommen. Der Verein setzt sich seit jeher für Offenheit, Toleranz und Vielfalt ein, spricht gezielt Migranten an und bietet ihnen die Möglichkeit, in den Abteilungen Fußball, Volleyball und Darts nicht nur Sport zu treiben, sondern auch so einen Zugang in die Gesellschaft zu finden. Der Sport soll auf dem Weg zur Integration Türen öffnen.

Beim Roten Stern spielen den meisten Geflüchteten  Fußball – und zwar in der dritten Mannschaft, die in der ersten Stadtklasse, der elften Liga, spielt. In der Mannschaft von Sandra Köhler kicken Fußballer aus verschiedenen Nationen wie Syrien, Afghanistan und dem Iran. Auch Spieler aus afrikanischen Ländern gehören dem Team an. Mit der Flüchtlingswelle von 2015 nahm die Zahl an Ausländern in der Mannschaft stark zu. „Ich gebe zu, dass ich als Frau am Anfang etwas Angst hatte“, sagt die Trainerin angesichts der Vielzahl an jungen Männern aus dem afrikanischen und arabischen Raum, die zu dieser Zeit in die Mannschaft kamen. Dennoch sei sie auch neugierig gewesen, habe deshalb von sich aus den Kontakt zu den Flüchtlingen gesucht, um deren Geschichten zu erfahren und so die Integration der Spieler in die Mannschaft voranzutreiben. Ihr Gefühl vom Anfang habe sich im Nachgang  nicht bestätigt. „Ich werde als Trainerin respektiert“, sagt die 28-Jährige.

Auch das Zusammenleben deutscher und ausländischer Spieler funktioniere gut – auch über den Fußballplatz hinaus.  „Wir haben schon zusammen auf der Peißnitz gegrillt oder Flüchtlinge beim Zuckerfest besucht“, sagt Sandra Köhler. Jetzt, wo viele Flüchtlinge anfangen zu arbeiten, helfen ihre deutschen Teamkollegen ihnen beim Schreiben der Bewerbungen. „Im Gegenzug haben Flüchtlinge auch schon bei Umzügen mitgeholfen“, zählt die Hallenserin ein weiteres Beispiel der gegenseitigen Unterstützung auf.

Jedoch gab es am Anfang auch Probleme und Schwierigkeiten – allein schon wegen der vielen unterschiedlichen Sprachen. Da wurden bei der Verständigung auch mal Hände und Füße zur Hilfe genommen. Mittlerweile beherrschen die meisten Geflüchteten die deutsche Sprache recht gut. Deshalb gibt es auch folgende Regel: „Abseits des Spielfeldes können sich die Spieler gern in ihrer Muttersprache unterhalten. Auf dem Platz wird aber Deutsch gesprochen“, sagt Sandra Köhler. Sie weiß: Ohne Regeln für die Flüchtlinge geht es nicht, das betrifft auch das Thema Pünktlichkeit, mit der es manche zunächst nicht ganz so genau nahmen. „Deshalb habe ich alle immer eine Viertelstunde früher zum Training oder zum Spiel bestellt. Da wusste ich, sie sind  pünktlich da. Mittlerweile klappt das aber recht gut“, sagt Sandra Köhler.

Sandra