Zwischen den Fronten

Die Zahl der Islamisten in Sachsen-Anhalt steigt. In den islamischen Gemeinden werben sie auch bei Geflüchteten um Mitglieder. Imam Moawia Al-Hamid kämpft gegen die Extremisten – zusammen mit den Behörden. Doch sein Vertrauen in den Staat ist erschüttert.

Von Max Hunger

Imam Moawia Al-Hamid in einer Moschee in Magdeburg (Foto: Andreas Stedtler)

Als Moawia Al-Hamid 2003 nach Magdeburg kommt, will er die dortige islamische Gemeinde zum Vorbild machen. Er will den Islam nach außen gut darstellen, knüpft Kontakte zu Politik und sozialen Gruppen. Die Gemeinde soll zeigen, wie der Islam sich Hand in Hand mit Justiz, Polizei und Verfassungsschutz gegen religiöse Extremisten wehren kann. Dazu rät der Imam heute , 16 Jahre später niemandem mehr. „Das ist ein Spiel mit dem Feuer“, sagt Al-Hamid bitter.

Islamisten in Magdeburg

Seit 2004 ist der promovierte Ingenieur aus Syrien Vorsitzender und Imam in der Magdeburger Moschee. Seit 2015 kommen hier auch viele geflüchtete Muslime zum Gebet. Seitdem kämpft die Gemeinde auch einen Kampf gegen Salafisten und Anhänger des Islamischen Staates (IS). Die hätten immer wieder versucht, hier Mitglieder zu werben, so der 49-Jährige. Fünf Mal habe er Verdächtige an den Verfassungsschutz gemeldet. Einer wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. Al-Hamid hat gegen ihn vor Gericht ausgesagt, hat den Behörden Videos als Beweismaterial geliefert. Nun muss er selbst vor Gericht, als Zeuge.

Was ist Islamismus?

Islamismus ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene Strömungen von politisch extremen Muslimen – nicht alle sind gewaltbereit. Trotz der aktuell starken Präsenz in den Medien ist Islamismus kein Phänomen des 20. Jahrhunderts: Laut Bundeszentrale für politische Bildung liegen die organisatorischen Wurzeln in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Damals in der Gründung der „Muslimbruderschaft“ in Ägypten. Ihr erklärtes Ziel: die Errichtung eines islamischen Staates, also die Vereinigung von Religion und Regierung, Islam und Gesellschaft – bis heute gilt das für alle islamistischen Strömungen.

Jihadismus

Der Islamismus kann in verschiedene Strömungen unterteilt werden: Der Jihadismus ist hat das Ziel, mithilfe terroristischer Gewalt auf der ganzen Welt einen Gottesstaat zu errichten. Zu ihm zählen etwa der „Islamische Staat“ oder die al-Quaida. Der Begriff “Jihad” ist ein Konzept innerhalb des Islams, das auch im Koran genannt wird. Es bedeutet Anstrengungen auf dem Weg Gottes zu begehen. Von Islamisten wird dies häufig als Aufruf zum gewaltsamen Kampf gedeutet.

Legalistischer Islamismus

Legalistische Strömungen wie etwa die Muslimbruderschaft wenden in der Regel keine Gewalt an. Sie versuchen durch politische und gesellschaftliche Einflussnahme ihre radikale Islamauslegung zu verbreiten. Laut Verfassungsschützern sind sie dennoch eine Gefahr für unsere Demokratie, weil sie meist keine Straftaten begehen und so juristisch nicht zu belangen sind. Doch auch sie proklamieren die Einheit von Staat und Religion, die mit Meinungspluralismus und Demokratie nicht vereinbar ist.

Salafismus

Salafismus bezeichnet eine Strömung des Islam, die sich auf die ersten drei Generationen von Muslimen beruft, die kurz nach dem Tod von Religionsbegründer und Prophet Muhammad im 7. Jahrhundert lebten. Der Salafismus kann extremistisch und sogar terroristisch sein. Denn teilweise übertragen Salafisten die politischen und gesellschaftlichen Ideale aus der damaligen islamischen Welt ohne Anpassung auf unsere Zeit. Alles was in dieser Weltsicht als “unislamisch” verstand wird, erklären sie für falsch. Eine Interpretation des Koran im historischen Kontext lehnen sie ab.

  • Gebetsraum

    Die große Halle des ehemaligen Heizkraftwerkes nahe des Magdeburger Zentrums haben die Muslime zum Gebetsraum umfunktioniert. Foto: Max Hunger

  • Predigt

    Moawia Al-Hamid predigt in Magdeburg. Bei Festgebeten kommen mehr als 1000 Muslime in die Moschee. Foto: Andreas Stedtler

  • Außenansicht

    Das ehemalige Heizkraftwerk ist schmucklos und baufällig. Minarette sucht man in dieser Moschee vergebens. Foto: Max Hunger

  • Kontraste

    Im Verwaltungsraum der Moschee trifft religiöse Dekoration auf industrielles Flair. Mit golden verzierten Spruchbändern, Tüchern und mehr versuchen die Muslime das nüchterne Bauwerk zu verschönern. Foto: Max Hunger

Muslime vor Gericht

Angeklagt sind zwei Muslime aus Magdeburg, unter ihnen der stellvertretende Vorsitzende seiner Gemeinde. Im Juni 2017 sollen sie in Stendal (Altmark) einen anderen Muslim überfallen und geschlagen haben. In erster Instanz wurden die beiden zu 15 Monaten Haft verurteilt. Im August beginnt das Berufungsverfahren. Nach Al-Hamids Ansicht ist die Anklage absurd. „Wir haben mit der Sache nichts zu tun.“ Er glaubt: Das Opfer ist ein IS-Anhänger, dessen eigene Leute ihn mundtot machen wollten, damit er vor Gericht nicht über seine Verbindungen zu der Terrormiliz spricht. Gegen ihn läuft derzeit ein Verfahren wegen Beleidigung. Auch ihn hat Al-Hamid dem Verfassungsschutz gemeldet. Doch der hält ihn nicht für einen Islamisten. „Wir haben etwas gutes getan und jetzt bekommen wir eine Anklage.“ Er habe überlegt, die Gemeinde aufzulösen. Aus zwei Gründen habe er das nicht getan: Er liebe Magdeburg, seine Familie lebt hier. Und: „Am zweiten Tag danach sind die Salafisten da.“

Zahl der Islamisten in Sachsen-Anhalt

Islamismus ist in Sachsen-Anhalt im Vergleich zu anderen Bundesländern eine kleine Bedrohung. Anschläge hat es bisher nicht gegeben. Dennoch ist die Zahl der politischen Extremisten unter den Muslimen im vergangenen Jahr von 200 auf 300 gestiegen, das geht aus dem aktuellen Bericht des Verfassungsschutzes hervor. Grund dafür sei auch die Zuwanderung. Denn unter den Geflüchteten seien vereinzelt auch Islamisten.

Der Verfassungsschutz nennt zwei wesentliche Bedrohungen: Eine ist der legalistische Islamismus. Unter dem Deckmantel der Demokratietreue versucht er, durch gesellschaftlichen Einfluss seine Ideologie zu verbreiten. Die zweite Bedrohung sind Gruppen mit terroristischen Bestrebungen. Laut Verfassungsschützern seien einzelne Personen im Visier. Sie stehen im Verdacht, in Syrien an terroristischen Aktivitäten beteiligt gewesen zu sein. Hier seien bereits Haftstrafen verhängt worden. Hinweise, dass Anschläge in Sachsen-Anhalt geplant waren, gebe es aber nicht.

Videobotschaft vom IS

Mit Islamisten, die der in Syrien aktiven Terrormiliz IS angehören, hat auch Al-Hamid schon zu tun gehabt. Zum Beweis zückt er sein Handy. Ein Video beginnt. Mehrere Schwarz-Vermummte halten ihre Maschinenpistolen in die Luft. Im Hintergrund ein Wüstenpanorama. Dann ein anderes Bild. Einem auf dem Boden knienden Mann  halten sie ein Messer an die Kehle. Im Hintergrund erklingen arabische Gesänge. „Wenn ich dich erreiche, schlachte ich deinen Hals  mit einer Klinge“, übersetzt Al-Hamid. Das Video sei seinem stellvertretenden Imam geschickt worden, von einer deutschen Nummer. Das sei die Reaktion darauf, dass sie  gegen den IS und den Salafismus predigten. Denn Salafisten gebe es in jeder Moschee.

Ihr Vorgehen sei immer das selbe, sagt Al-Hamid. Sie zögen erst Einzelne auf ihre Seite, bis sie die Mehrheit in der Gemeinde haben. Dann übernehmen sie den Vorstand. „Das hat man bei uns auch versucht.“ Ein Mann aus der Gruppe um den Salafistenprediger Pierre Vogel habe einmal angeboten, eine Predigt  zu halten. „Ich habe nein gesagt. Dich brauche ich hier nicht.“ Doch es sei nicht einfach, die Gemeinde zusammenzuhalten, sagt der Imam.

Die Moschee in Magdeburg wird mit Kameras überwacht. Foto: Max Hunger

Kameras in der Moschee

Um zu sehen, wer mit wem spricht, wird die Moschee mit Kameras überwacht. Die Lage ist unübersichtlich: Bei Freitagsgebeten kommen 1 000, bei Festgebeten bis zu 1 400 Menschen aus 22 Herkunftsländern in die Moschee nahe dem Magdeburger Zentrum, der einzigen in der Stadt.

Warum lassen sich Menschen von Islamisten auf ihre Seite ziehen? Dazu brauche es zunächst Leidensdruck, erklärt Hans Goldenbaum. Der Islamwissenschaftler leitet das Projekt „Salam-Sachsen-Anhalt“, Präventionsprogramm und Frühwarnsystem für islamistische Radikalisierung. Vor allem junge Menschen, die eine Sinnkrise erlebten, etwa durch einen persönlichen Verlust, seien empfänglich für die Worte islamistischer Werber. Ihnen bieten sie eine einfache Lösung: Die Ungläubigen sind schuld. Sie müssen weg. Wenn dann Bekannte ebenfalls auf dieses Angebot eingehen, wird es für den Einzelnen  vertretbarer. Diese Missionierung geschehe meist durch persönlichen Kontakt, etwa im Umfeld von Gemeinden in größeren Städten.

Das stärkste Mittel gegen Radikalisierung sei eine gute Integration, sagt Susi Möbbeck,  Integrationsbeauftragte des Landes. Sie ist sich sicher: Wer hier einer Arbeit nachgeht und dessen Kinder einen Schulabschluss machen, ist eher bereit, die Feindbilder der Terroristen abzulehnen. Beim Kampf gegen Radikalisierung sei auch die Zusammenarbeit mit den Imamen wichtig. Und Al-Hamid sei jemand, der „klare Kante“ gegen Islamismus zeige.

Kritik am Imam

Das Vorgehen des Imams wird von einigen Beobachtern jedoch auch kritisch gesehen. Er ist Vorstandsvorsitzender und Imam – zwei Ämter, die sich eigentlich gegenseitig kontrollieren sollen. Rund 400 Kinder bekommen Islamunterricht in der Magdeburger Moschee. Religion statt Integration? Den Behörden wäre es lieber, der Unterricht wäre staatlich und damit frei von Ideologie. Dafür fehlt jedoch derzeit ein Gesetzt.

Für Al-Hamid ist der Unterricht ein wichtiges Mittel gegen Radikalisierung. Wer gelernt habe, den Koran in seinem historischen Kontext zu lesen, sei weniger empfänglich für radikalen Gedanken. Er will seinen Kampf gegen die Islamisten fortführen – bevor er jedoch wieder die Behörden hinzuziehe, werde er „bis 1 000 zählen.“ Er fühlt sich im Stich gelassen. „Wir haben einen Verdachtsfall übermittelt und jetzt werden wir benachteiligt.“

Moawia Al-Hamid

Moawia Al-Hamid

Imam und Vorsitzender der islamischen Gemeinde Magdeburg. Foto: Andreas Stedtler

Moawia Al-Hamid ist in Syrien geboren und kam 1996 zum Studium nach Deutschland. Mit einem syrischen Stipendium promovierte der heute 49-Jährige in Hannover im Bereich Elektrotechnik. 2003 kam der Ingenieur nach Magdeburg und begann, sich in der islamischen Gemeinde zu engagieren. Heute ist er Dozent an der Universität in Magdeburg und forscht im Bereich elektromagnetische Verträglichkeit. 2016 wurde er zum Vizemagdeburger des Jahres gewählt. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.