Versteckte Emanzipation
Das Frauenbild vieler Geflüchteter unterscheidet sich stark vom deutschen Rollenverständnis. Tatsächlich gibt es aber nicht “das eine” Frauenbild: Weder in der deutschen Gesellschaft, noch unter Geflüchteten. Welche Probleme trotzdem auftreten und wie sie gelöst werden können.
Von Sandra Simonsen

Reem Alrahmoun (Foto: Andreas Stedtler)
Magdeburg, Winter 2017: Reem Alrahmoun ist mit der Straßenbahn unterwegs. Obwohl es kalt ist und viele Menschen Mützen tragen, fällt einem Deutschen ihr Kopftuch auf. Er wird aggressiv, beschimpft die Syrerin, schlägt ihr in die Brust.
Sie flüchtet und fühlt sich einmal mehr fremd in ihrer neuen Heimat.
Solch extreme Reaktionen sind zum Glück selten. Sie resultieren aus Unwissenheit und Vorurteilen. Doch welche Rolle spielt das Kopftuch im Leben einer muslimischen Frau? Auf Antwortsuche mit drei Syrerinnen:
Flucht bedeutet Freiheit
2015 kam Reem Alrahmoun aus Syrien nach Deutschland. Allein. Ihre Familie konnte es sich nicht leisten, gemeinsam zu fliehen. Für die selbstbewusste junge Frau bedeutete die Flucht vor allem eines: Freiheit und Selbstständigkeit. Obwohl ihre Familie mittlerweile nachgezogen ist, lebt sie bis heute allein in einer Ein-Zimmer-Wohnung in Magdeburg.
Das wäre in Syrien undenkbar gewesen. „Deutschland bedeutet deshalb für mich auf der einen Seite Freiheit – aber ich fühle mich trotzdem immer fremd“, sagt sie. Mittlerweile arbeitet die 33-Jährige bei der Mobilen Opferberatung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Magdeburg. 2018 wurde sie zur Engagementbotschafterin des Landes ernannt.
Kopftuch tragen, um dem Vater Respekt zu zeigen
Ihr Kopftuch trägt sie nun als eine Art Mütze, um sich vor rassistischen Übergriffen wie dem im Winter 2017 zu schützen. „Aber die Menschen haben gemerkt, dass auch meine Art von Kopftuch von Muslima getragen wird“, erzählt sie, die Blicke und Beschimpfungen auf der Straße haben nicht aufgehört. Ob sie darüber nachgedacht habe, ihr Kopftuch ganz abzulegen, um weniger Probleme zu haben? Nein, nie.
Dabei fühlt sich Reem Alrahmoun gar nicht wohl damit. Viel zu früh habe ihr Vater bestimmt, dass sie das Tuch tragen müsse, um ihr Haar zu verdecken. Als gläubiger Muslim ist er überzeugt, dass seine Tochter nichts „Aufreizendes“ zeigen dürfe. Selbst das Haar oder der Hals einer muslimischen Frau sollen demnach verdeckt sein.
Koranstellen verweisen auf diese Regel, sind jedoch auch bei Muslimen umstritten. „Ich glaube nicht daran“, bekräftigt Reem Alrahmoun. Doch aus Respekt vor ihrem Vater trägt sie das Tuch auch in Deutschland weiter. „Mein Vater hat so vieles verloren im Krieg: Sein Zuhause, die Arbeit. Ich wollte ihm nicht den Respekt seiner einzigen Tochter nehmen.“
Es ärgert sie, dass das Kopftuch als Symbol für die ungebildete, unterdrückte muslimische Frau steht. „Es gibt natürlich auch diese Frauen – aber es gibt auch in Deutschland Frauen, die von ihren Männern unterdrückt werden.“ Gegen dieses Klischee kämpft sie an.
Familie steht an erster Stelle
Auch Suzan Mhd Ali ist 2017 allein nach Deutschland gekommen – trotzdem spricht die Syrerin schon fließend deutsch. „Mir hat nie jemand gesagt, dass ich ein Kopftuch tragen soll – also habe ich es nie angefangen“, erklärt die studierte Architektin und lacht. Gern würde sie in Deutschland an ihr Studium anknüpfen und als Architektin arbeiten.
Das Kopftuch sei auch längst nicht das, was ihren Glauben und ihre Traditionen ausmache. Für sie spiele die Familie, die inzwischen in Deutschland wieder vereint ist, mit ihren ganz eigenen Traditionen eine viel größere Rolle.
Der Unterschied zwischen Deutschland und ihrer Heimat sei für die 28-Jährige, dass die Frau in Deutschland alles machen kann, während es in Syrien „ein bisschen komplizierter“ sei. Besonders überrascht sei sie beispielsweise über die vielen Frauen in kurzen Röcken, Shorts oder Tops gewesen.

Suzan Mhd Ali (Foto: Andreas Stedtler)
Religion nach außen tragen
Nahil Moshref führt ein ganz anderes Leben als Reem Alrahmoun und Suzan Mhd Ali. Sie ist 2016 mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern nach Deutschland gekommen. Die 38-Jährige und ihr Mann teilen sich die Hausarbeit sowie die Kindererziehung – beide arbeiten als Physiotherapeuten in Minijobs. Nachdem sie in Syrien Physiotherapie studiert hatte, wartet sie gerade auf ihre Kenntnisprüfung zur Anerkennung ihres Abschlusses.
Erst mit 24 Jahren hat sie sich entschieden, ein Kopftuch zu tragen – ihre Familie habe sich damals sehr gewundert. Als Jugendliche habe sie es nicht gewollt. Später sei es dann ihre eigene Entscheidung gewesen, sie habe einfach das Gefühl gehabt, ihre Religion nach außen tragen zu wollen. In Syrien hätten Frauen viele Rechte.
„Aber sie legen darauf nicht so viel Wert wie auf Traditionen“, sagt sie. In Deutschland hingegen würden die Frauen sich mehr für ihre Rechte einsetzen. Deshalb, so vermutet sie, würden die Männer hier nicht mehr so viel Macht über sie haben.
„In Syrien wirst du als Mann angefeindet, wenn du mit einem Kinderwagen über die Straße gehst.“ Ihr Mann habe das trotzdem häufig gemacht. Sie habe sogar das Gefühl, dass sie diejenige sei, die in der Beziehung mehr Rechte habe, scherzt sie.

Nahil Moshref (Foto: Andreas Stedtler)
Ehrbegriff spielt eine große Rolle
Traditionell muslimisch denkende Männer würden der Frau eine Rolle als Hausfrau und Mutter zudenken, erklärt Ahmet Toprak. „Deshalb sind sie irritiert, wenn Frauen selbstbewusst und aktiv sind“, sagt der Erziehungswissenschaftler von der Hochschule Dortmund. Damit könnten sie nicht umgehen.
Für männliche Muslime spiele zudem die Ehre eine besondere Rolle: Zum einen die Ehre der Familie, zum anderen die Ehre auf sexueller Ebene. Viele Männer seien da durch überfordert. Das das Aufeinanderprallen der strengen Traditionen der geflüchteten Männer und der liberalen Regeln in Deutschland führe zwangsläufig Konflikte.
Um die Integration zu fördern und Problemen vorzubeugen, wünscht sich Toprak eine Umstrukturierung der Integrationskurse. Bisher seien dort viele Themenbereiche zu faktisch und historisch aufgebaut. „Das kann man alles nachlesen – wirklich wichtig wäre es, Traditionen und Benehmen zu lehren.“

Professor Ahmet Toprak (Foto: Toprak/Hochschule Dortmund)
Gewöhnen an deutsche Sitten und Bräuche
Generell müssten sich die Asylsuchenden an deutsche Gepflogenheiten gewöhnen. „In Deutschland ist es zum Beispiel Usus, wenn eine Frau mit einem Mann flirtet und ihm dann aber sagt: ,Okay, du gefällst mir nicht’“, erklärt Toprak. In muslimisch geprägten Ländern sei es hingegen so, dass die Frau selbst gar nicht aktiv werde.
Der Erziehungswissenschaftler ist gebürtiger Türke, fühlt sich in Deutschland nur bedingt integriert – obwohl er sich vom Gastarbeiterkind zum Universitätsprofessor hochgearbeitet hat. Grundsätzlich gebe es aber nicht „die Muslime“ und „das Frauenbild der Muslime“ – es komme immer darauf an, aus welchen Regionen die Geflüchteten stammen. Da sind sich auch die drei Frauen einig.
So unterschiedlich wie sie sind, so verschieden sind auch die Rollenbilder aller Flüchtlinge. Ein junger Mann aus Aleppo beispielsweise habe ein deutlich liberaleres Frauenbild, als ein Mann aus dem ländlichen Raum Syriens, erklärt Toprak.
Zu Besuch bei Frauen aus Syrien
Iman Shaaban (30), Rama Dmeirieh (23) und Nahil Moshref (38) haben uns ihr Zuhause gezeigt und von ihrem Alltag, ihren Hobbies und ihrem Familienleben erzählt.
Kopftücher: Glaube oder Unterdrückung?
Kopftücher im Islam
Vor allem muslimische Frauen tragen Kopftücher. Das wird mit drei Textausschnitten im Koran begründet, die unter anderem erklären, die gläubigen Frauen, sollten auf alles “Aufreizende” verzichten.
Zum einen wird begründet, dass etwas über den Schlitz des Kleides gezogen werden solle. Die altarabische Frauenkleidung hatte nämlich einen Schlitz, der vom Hals abwärts zur Taille reichte und demnach bei bestimmten Bewegungen die weibliche Brust zeigte. Deshalb gab es das sogenannte himār, ein großes Tuch, das um Kopf und Schultern geschlagen wurde und auch vor das Gesicht gezogen werden konnte.
Letztlich schreibt keiner der Koranverse Kopfverschleierung explizit vor. Dass sie in der älteren islamischen Tradition dennoch einhellig im Sinne einer solchen Vorschrift interpretiert wurden, beruht auf zusätzlichen Bestimmungen, die im Hadīth, der Überlieferung über die Worte und die als vorbildhaft erachteten Handlungsweisen des Propheten, ihren Niederschlag gefunden haben. (Quelle: Deutsche Islam-Konferenz/Wielandt)
Das Kopftuch in der westlichen Welt
Auch in Europa war es bis in die 1980er Jahre üblich, vor allem in ländlichen Gebieten ein Kopftuch zu tragen. Besonders die sogenannten “Trümmerfrauen” in der Nachkriegszeit haben Kopftücher getragen, um ihre Haare vor Schmutz zu schützen.
Eine Renaissance erlebte das Kopftuch in Filmen der 1950er- und 1960er-Jahre, vor allem mit Audrey Hepburn und Grace Kelly, deren Name heute auch mit einer bestimmten Trageweise (unter dem Kinn gekreuzt und dann im Nacken verknotet) verknüpft ist. Die derzeit weltweit wohl bekannteste Frau, die häufig ein Kopftuch trägt, dürfte Königin Elisabeth II. sein.
Kopftücher im Judentum
Im orthodoxen Judentum ist es für verheiratete Frauen Brauch, im Rahmen der Zniut („Sittsamkeit“) ihr Haar zu bedecken. Das hierbei oft getragene Kopftuch wird Tichel oder Mitpachat genannt. Es weist die Trägerin als verheiratete Frau aus. (Quelle: Wikipedia)
Das Kopftuch im Christentum
Im Christentum wird das Kopftuch hauptsächlich von Frauen der orthodoxen Kirchen und in einigen mennonitischen bzw. täuferischen Gemeinschaften, wie etwa den Hutterern, getragen. Dabei sind für die Kopftücher der Frauen der hutterischen Schmiedeleut weiße Polkatupfen auf schwarzem Grund vorgeschrieben, wodurch sie besonders leicht zu erkennen sind.
Zur Ordenstracht der Schwestern einiger neuerer Kongregationen, etwa der Kleinen Schwestern Jesu und der Kleinen Schwestern vom Lamm, gehört ein Schleier, der einem Kopftuch ähnelt.
Das aus der Bibel abgeleitete Gebot, dass Frauen beim Gebet und im Gottesdienst das Haupt beziehungsweise das Haar bedecken, wird in einigen Kirchen, vor allem in Ost- und Südeuropa, praktiziert. (Quelle: Wikipedia)
der Asylantragssteller deutschlandweit im ersten Quartal 2019 waren männlich.
der Asylerstantragssteller deutschlandweit im ersten Quartal 2019 waren unter 30 Jahre alt.
Schtreimel
Samt mit einem breiten Pelzrand, in der Regel Zobelschwänze – das sind die Materialien, aus denen Schtreimel gefertigt werden. Meist wird diese jüdische Kopfbedeckung von verheirateten Männern während religiöser Feste und Feiern getragen. Diese Tradition ist durch die Shoah in Europa fast ausgestorben. (Quelle: Wikipedia/dw.de – Foto: dpa)
Kippa
Die Kippa ist seit dem 17. und 18. Jahrhundert die Kopfbedeckung der europäischen Juden und religiöses Symbol. Dabei ist nicht die runde Mütze selbst entscheidend, sondern, dass gläubige Juden ihr Haupt bedecken. Das jüdische Gesetz (Halacha) verpflichtet Jungen und Männer dazu, etwa beim Beten, in der Synagoge oder beim Studium der Religion den Kopf zu bedecken. (Quelle: Wikipedia/dw.de – Foto: dpa)
Nonnenschleier
Das Klischee ist weit verbreitet: “Mönche” tragen immer ein braunes Gewand mit Kapuze und einen Rosenkranz, “Nonnen” stets eine schwarze Tracht und schwarzen Schleier. Tatsächlich hat aber jede Ordenstracht, auch Habit (von lateinisch habitus: Gestalt, Gesinnung) genannt, ihre spezifischen Erkennungsmerkmale. (Quelle: wikipedia/dw.de – Foto: dpa)
Mitra
Bischöfe, vor allem in der römisch-katholischen Kirche tragen als liturgische Kopfbedeckung seit etwa dem 11. Jahrhundert eine Mitra. An Stirn- und Nackenseite befindet sich jeweils ein auf dem Kopf stehender Schild. Das Innenfutter der Mitra ist einer Mütze ähnlich. Zwei nach hinten hängende Bänder symbolisieren das Alte und das Neue Testament. (Quelle: wikipedia/dw.de – Foto: dpa)
Hut und Haube
Die Amischen haben ihre Wurzeln in der reformatorischen Täuferbewegung, vor allem der Schweiz und Süddeutschlands. Seit dem frühen 18. Jahrhundert wanderten viele nach Nordamerika aus, wo sie seitdem Glaubensfreiheit genießen. Durch ihren Glauben bringen sie vor allem die Demut zum Ausdruck. Das spiegelt sich auch in ihrer einfachen Kleidung. Männer tragen Filz- oder Strohhüte, die Frauen Hauben. (Quelle: wikipedia/dw.de – Foto: dpa)
Birett
Stoff und eingelegte Pappstreifen, in der Mitte eine Quaste und fertig ist das Birett. Die Kopfbedeckung für römisch-katholische Geistliche ist vierkantig und etwa seit dem 13. Jahrhundert bekannt. Das Birett römisch-katholischer Geistlicher ist vierkantig und besteht aus Stoff mit eingelegten Pappstreifen. In Deutschland, England, Frankreich und in den Niederlanden hat es vier, in anderen Ländern drei Hörner oder bogenförmige Aufsätze, in Spanien ist es ohne solche Aufsätze. (Quelle: wikipedia/dw.de – Foto: dpa)
Tagelmust
Ein Tagelmust ist ein mit einem Schleier kombinierter Turban, der von Tuareg-Männern in Westafrika getragen wird. In der Sahara ist er gleichzeitig Kopf- und Atemschutz. Er kann bis zu 15 Meter lang sein. Den Tagelmust erhält, wer im Alter von 15 bis 17 Jahren in die Erwachsenenwelt eintritt. Er darf von nun an beten, rituelle Waschungen vornehmen und zur Koranschule gehen.
Probleme, Konflikte und Lösungen
Hilfe für geflüchtete Frauen
In Sachsen-Anhalt gibt es zahlreiche Servicestellen für Frauen – auch speziell für geflüchtete Frauen.
Frauenhäuser in Sachsen-Anhalt
In Sachsen-Anhalt gibt es 20 Frauenhäuser und Beratungsstellen. Dort erhalten Frauen in Not Hilfe und von Gewalt betroffene Frauen Schutz sowie Beratung. Aufgenommen werden können Migrantinnen mit Aufenthaltstitel.
Mittlerweile gibt es vor allem kürzere Aufenthalte in den Frauenhäusern. Dabei gibt es den Vorteil, dass die Frauen und Kinder nicht zu lange ihr persönliches Umfeld verlassen müssen.
Die Adressen der Frauenhäuser sind anonym. Informationen zu Frauenhäusern in Ihrer Nähe gibt es zum Beispiel über den Notruf der Polizei (110) oder regionale Frauenzentren.
Frauenflüchtlingshaus
Im Frauenflüchtlingshaus werden alleinreisende Flüchtlingsfrauen und deren Kinder aufgenommen, die durch Gewalterlebnisse im Herkunftsland oder auf der Flucht traumatisiert worden sind.
Frauen, die sich in den Gemeinschaftsunterkünften bedroht fühlen, werden ebenfalls aufgenommen. Das Frauenflüchtlingshaus ist in Halle und hat engen Kontakt zu Beratungsstellen und Ärztinnen, die sich auf die Behandlung von traumatisierten Flüchtlingen spezialisiert haben.
Kontakt:
Frauenflüchtlingshaus (FHH)
Ivonne Lischke (Leiterin FFH)
i.lischke@spi-ost.de
Julia Weiße (Projektmitarbeiterin)
j.weisse@spi-ost.de
Postfach 11 05 08
06019 Halle
Tel: 0345-5238115
Frauenzentren
Einen wichtigen Bestandteil der regionalen frauenpolitischen Infrastruktur stellen die Angebote der Frauenzentren dar. Mehr Informationen darüber erhalten Sie auf den jeweiligen Internetauftritten:
- Frauenzentrum Courage, Magdeburg
- Sozial-Kulturelles Frauenzentrum, Dessau
- Frauenzentrum Lilith, Halberstadt
- Frauenzentrum Weiberwirtschaft, Halle
- Frauenzentrum “Frauen helfen Frauen e.V.”, Wolfen
- Frauenzentrum, Wernigerode
- Jugendwerk Rolandmühle, Burg
Sexualstraftaten in Sachsen-Anhalt 2018: Gesamtzahl
Sexualstraftaten in Sachsen-Anhalt 2018: Nichtdeutsche Staatsbürger
Interview mit Prof. Ahmet Toprak
Professor Ahmet Toprak arbeitet als Erziehungswissenschaftler an der Hochschule Dortmund. Der 49-Jährige ist bekannt für seine Arbeiten zu jungen geflüchteten Männern und Experte für den Islam.
MZ-Volontärin Sandra Simonsen hat mit ihm über das Frauenbild junger Geflüchteter gesprochen, über Probleme die aus Unterschieden resultieren und über mögliche Lösungen. Das vollständige Interview gibt es im Video.
Herr Toprak, Sie sind selbst türkischer Herkunft: Integration ist sozusagen ihr Alltag. Fühlen Sie sich vollständig integriert?
Ich glaube, dass ich mich nicht so integriert fühle, wie vielleicht manche denken, wenn man die äußeren Kriterien heranzieht wie Bildung und Berufsbeteiligung oder Wohngegend. Aber ich glaube auch nicht, dass jeder Mensch zu hundert Prozent integriert werden kann, weil der Integrationsbegriff sehr vielschichtig ist. Es ist so, dass man sich nicht nur strukturell integriert, sondern dass man sich einer Gesellschaft und einem Land zugehörig fühlt – sich mit einem Land identifiziert. Das ist die Königsdisziplin der Integration und das braucht etwas länger.
Beim Thema Frauenbild wird schnell der Schluss gezogen, dass das Frauenbild der Geflüchteten nicht mit dem Deutschen vereinbar ist. Wo sehen Sie die problematischsten Unterschiede zwischen den Frauenbildern?
Es gibt nicht “die Muslime” – es gibt auch unterschiedliche Prägungen in der muslimischen Gesellschaft. Es kommt immer darauf an, mit welchen Vorkenntnissen die Geflüchteten kommen. Wer aus einer Großstadt kommt oder einen akademischen Abschluss hat, hat natürlich ein anderes Frauenbild als in der ländlichen Gegend. Dort sind Frauenbilder anders als im städtischen Kontext: Dort sind Frauen in der Öffentlichkeit nicht sichtbar und sollen zurückhaltend sein. Mit diesen Bildern kommen sie nach Deutschland und dann gibt es natürlich Irritationen, wenn die Frauen hier selbstbewusst sind. Aber die Männer sind auch in der Lage, sich an die Prägungen zu gewöhnen – aber man braucht dafür durchschnittlich sieben Jahre.
Ein großes Thema für viele Männer aus anderen Kulturen und Religionen ist die Ehre – welche Konflikte ergeben sich daraus in Deutschland?
Viele muslimische Männer haben ein sehr traditionelles Ehrverständnis. Das heißt Sexualität wird in erster Linie auf das Ansehen der Familie und die Sexualmoral der Frau konzentriert. Das Ansehen der Familie besteht darin, dass der Mann dafür sorgt, dass die Familie ein anständiges Familienbild nach außen trägt. Und dafür sind in erster Linie alle zuständig mit ihrem Verhalten – wenn sich Frauen und Kinder daneben benehmen, ist der Mann dafür zuständig, dieses Verhalten zu korrigieren. Wenn er dies nicht korrigiert, ist er nicht ehrenhaft. Das andere Bild ist die Sexualmoral: Das heißt, die Frauen sollen als Jungfrauen in die Ehe eingehen. Deshalb heiraten viele auch sehr früh, weil die Heirat die Sexualität legitimiert. Die Kontrolle der Sexualität vor der Eheschließung wird den Männern übertragen. Der Mann ist dafür verantwortlich, dass die Schwester oder Tochter vor der Ehe keine sexuellen Kontakte hat. Wenn er das nicht kontrollieren kann, ist er ehrenlos. Viele Männer sind mit diesen Anforderungen nicht zufrieden oder überfordert.
Wie denken Sie, könnte den Problemen begegnet werden, um auch das Frauenbild junger geflüchteter Männer in Deutschland zu integrieren?
Ich bin ein Verfechter der Integrationskurse. Aber ich bin mit den Inhalten nicht so zufrieden. Es gibt zwei Dinge: Der Kurs besteht aus dem Bereich der deutschen Sprache – das steht nicht zur Diskussion. Aber womit ich ein Problem habe: Es gibt sinnvolle und weniger sinnvolle Inhalte. Zum Beispiel muss man nicht alle 16 Bundesländer mit ihren Hauptstädten auswendig können – das kann man schnell nachschauen. Stattdessen müsste man bestimmte Dinge implementieren z.B. wie funktionieren hier Moralvorstellungen, wie reagiere ich, wenn eine Frau mich anspricht, was bedeutet das? Viele Männer sind dann dankbar, weil sie eben auch verunsichert sind.